Streck deinen Finger aus! - Ein Impuls für den Alltag
Er kann es gar nicht glauben: Jesus soll auferstanden sein. Vor ein paar Tagen ist er seinen Jüngern erschienen. Doch Thomas war als einziger nicht dabei. Er hat es nicht erleben können, wie der Auferstandene in ihre Mitte getreten war und mit ihnen noch einmal das Brot brach. Doch heute ist dieser Jesus wieder in ihrer Runde und heute möchte sich auch Thomas davon überzeugen, dass er lebt. Das Johannesevangelium schildert uns, wie der Apostel daher die Kreuzeswunden am Körper Jesu sehen und fühlen möchte – als Beweis für die Auferstehung. Er kann nur das glauben, was er sehen, verstehen, begreifen kann. Dieser Thomas gilt seit jeher als Prototyp des Zweiflers. Oft schon wurde er als „ungläubig“ bezeichnet.
Wem von uns könnte da nicht manchmal der Zweifel an einem starken, gerechten, liebenden und lebendigen Gott kommen – bei all der Grausamkeit, die Menschen sich antun, bei all dem Leid, das schwere Krankheiten oder eine Pandemie nach sich ziehen, bei der Erbarmungslosigkeit unseres Wirtschaftssystems, bei der Zerstörung unserer Schöpfung. Wo bist du, allmächtiger und guter Gott? Gibt es dich? Wirst du wirklich einmal alles retten und vollenden?
Jesus sagt nicht zu Thomas: Du bist ein schlechter Jünger, weil du nicht glauben konntest, sondern er lädt ihn ein: „Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und lege sie in meine Seite“. Thomas muss sich nicht rechtfertigen. Er darf kommen und die Wunden berühren. Er darf mit ihm ins Gespräch kommen und Gemeinschaft erfahren. Wer Jesus immer wieder begegnet, der darf Gott kennen lernen – immer besser und immer tiefer. Und der darf auch seinem Zweifel Raum geben. Wir dürfen hinterfragen, was uns hält, was unserem Leben einen tieferen Sinn gibt, was wirklich wahr ist. Wir sind sogar eingeladen, nach der Logik Gottes zu fragen und die Nachvollziehbarkeit unseres Glaubens einzufordern.
Die geschilderte Szene ist nur eine von vielen Texten, die den Unglauben und den Zweifel thematisieren. Thomas nimmt in dieser Geschichte die Einladung letztlich gar nicht an und kommt auch ohne die Berührung der Wunden zum Glauben an die Auferstehung. Das (Ver-)Zweifeln gehört aber offensichtlich zum Glauben dazu. Ich darf den Zweifel, das Fragen, die Zerrissenheit in mir zulassen. Gott will mir auch darauf eine Antwort schenken.
Dekanatsreferent Christian Schrödl, Neumarkt/Habsberg
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