Impuls zum Tagesevangelium: "Einer von vielen"
Neumarkt (dbnm) - Claudia Kühnlein, Gemeindereferentin im Pfarrverband Neumarkt-West, gibt einen Denkanstoß zur Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin. Sie versucht dabei, sich in die Lage Jesu hinein zu versetzen.
Einer von vielen (Joh 8,1—11)
„Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“ (Johannesevangelium 8,1-11)
Ich war einer von vielen an jenem Morgen. Im Tempel herrschte großes Gedränge. Denn jeder wollte Jesus ganz besonders nahe sein. Er setzte sich in unsere Mitte. Es war einfach schön ihm zuzuhören, wenn er von seinem Vater und dem Himmelreich erzählte. Ich malte mir herrliche Bilder im Kopf aus. ‚Eigentlich zu schön, um wahr zu sein‘, dachte ich manchmal für mich. In diesem Moment kamen Pharisäer und Schriftgelehrte und drängten sich durch die Menge. Sie zerrten eine Frau herein und blieben vor Jesus stehen. Ganz aufgebracht redeten sie auf ihn ein. In diesem Durcheinander konnte ich nur einzelne Worte verstehen: „Ehebruch … Gesetz des Mose … steinigen … Was sagst du, Jesus?“
Ich war einer von vielen. Ungeheuerliche Wut stieg schlagartig auch in mir auf. Wie konnte sie nur? Hoffentlich bekommt sie jetzt ihre gerechte Strafe! Sie hat es nicht anders verdient! Geschieht ihr recht! Sie wusste, worauf sie sich eingelassen hat! Geschützt, versteckt und unerkannt aus sicherer Entfernung zielten wir auf sie, die sie in unserer Mitte stand: verachtende Blicke, knallharte Vorwürfe, gnadenlose Behauptungen, unhinterfragte Thesen. In diesem Augenblick richtete sich Jesus inmitten der Menge auf und sagte: „Wer von euch …“
Ich war einer von vielen. In diesem Moment aber traf mich sein Blick. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben. All die gemeinsamen Begegnungen mit ihm tauchten vor meinem inneren Auge auf, als er den Blinden heilte und Dämonen austrieb, wie er mit den Menschen sprach und ihnen Trost schenkte. Und nun sah er mich an - warum ausgerechnet jetzt? Doch in seinem Blick lag kein Vorwurf, keine Ermahnung, kein Tadel - im Gegenteil: Jesus sah mich liebevoll an. Ich wich seinem Blick aus, drehte mich um und rannte weg. In meinem Kopf kreisten unzählige Gedanken und Bilder. So lief ich durch die Stadt, bis ich nicht mehr konnte. Außer Atem blieb ich stehen. Da sah ich vor meinem inneren Auge Jesus, wie er mich mit seinem gütigen Blick ansah: „Ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“
Ich war einer von vielen. Und doch war ich es, der von deinem liebevollen, gütigen und barmherzigen Blick getroffen und geheilt wurde. Ich fing an zu begreifen …
Claudia Kühnlein, Gemeindereferentin, Pölling/Woffenbach
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